Man kann bereits sagen, dass die Sitzungen des Diskussionsklubs zu einer festen Tradition der RDD geworden sind. Der Klub hat ein regelmäßiges Publikum gewonnen, und neue Interessierte schließen sich an. Dieses Mal wurde der ständige Diskussionsteilnehmer, der Politologe Artem Orlov, vom bisherigen Moderator des Klubs, Maxim Andreev, als neuer Moderator vorgeschlagen und stellte ein neues Debattenformat vor.

Das Publikum wurde in Paare aufgeteilt, die über jene Nachrichten aus Deutschland diskutierten, die ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben waren. Anschließend listete jedes Paar die besprochenen Themen auf, die in eine gemeinsame Sammlung aufgenommen wurden. Danach bildeten sich zwei Gruppen, die innerhalb ihrer Reihen diskutierten, um aus dieser Liste die aktuellsten Themen auszuwählen, diese zur Diskussion vorzuschlagen und ihre Auswahl zu begründen.
Das gemeinsam gewählte zentrale Thema lautete:
„Friedrich Merz – eine schwache politische Führungspersönlichkeit“.
Klar ist, dass der Anlass für diese Fragestellung das Scheitern des Kanzlerkandidaten im ersten Wahlgang war – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Noch nie zuvor hatte eine Koalition von Parteien, die sich auf eine gemeinsame Linie verständigt hatte, diese so unmittelbar durch ein nicht abgestimmtes Abstimmungsverhalten gebrochen.

Dem Publikum wurde vorgeschlagen, sich zu der im Titel formulierten These zu positionieren – ob man ihr zustimmt oder nicht.
Daraus ergaben sich drei Gruppen:
- jene, die Merz für eine schwache Führungspersönlichkeit hielten,
- jene, die seine politischen Qualitäten deutlich höher einschätzten,
- und die Unentschlossenen.
Die dritte Gruppe wurde vom Moderator als Expertenjury bestimmt, während die übrigen beiden Gruppen die Debattierenden stellten.

Diesmal fand die Klub-Sitzung in der „Grünen Ecke“ statt – dem Parteibüro der Grünen in der Neustadt. In diesem Stadtteil herrscht reger Verkehr, und es gibt nur wenige öffentliche Räume. Da das Bürogebäude tatsächlich an einer Ecke liegt und am Eingang Treppenstufen sowie seitlich Fensterbänke vorhanden sind, zogen diese Merkmale am Abend sofort die Aufmerksamkeit der Anwohner:innen auf sich. Kleine Gruppen machten es sich sowohl auf den Stufen als auch auf den Fensterbänken gemütlich.
Doch kehren wir zurück ins Innere des Büros, wo die Teams sich gerade auf ihre Argumente verständigt hatten.

Den Auftakt machten die Befürworter der Position „Merz ist eine schwache Führungspersönlichkeit“ mit folgenden Thesen:
- Merz konnte nicht einmal innerhalb der eigenen Partei eine stabile Mehrheit sichern.
- Sein öffentliches Auftreten ist wenig überzeugend; er wird als „typischer Bürokrat“ wahrgenommen.
- Er zeigt keine klare Linie im Umgang mit der AfD: Einerseits übernimmt er ihre Rhetorik, andererseits distanziert er sich von ihr. Das vermittelt den Eindruck, er sei „für alles Gute und gegen alles Schlechte“ – ohne eine eindeutige Haltung zu vertreten.

Das zweite Team hob die Stärken des neuen Kanzlers hervor:
- Er ist ein Wirtschaftsexperte mit Erfahrung und einem Verständnis für systemische Reformen.
- In einer demokratischen Gesellschaft beruht politische Stärke nicht auf Charisma, sondern auf der Fähigkeit, Ergebnisse zu erzielen.
- Merz konnte sowohl mit dem vorherigen Bundestag eine Reform der Schuldenbremse aushandeln als auch mit dem neuen Bundestag eine Koalition bilden.
- Er ist kompromissfähig, arbeitet zielorientiert und scheut sich nicht, auch mit der AfD zu sprechen.
- Seine Partei hat keine Wähler an die AfD verloren – ein Zeichen für eine kluge Wahlkampfstrategie.
Im nächsten Schritt tauschten die Teams Gegenargumente aus, benannten Schwächen in den Positionen der Gegenseite und untermauerten ihre eigenen Standpunkte weiter.
Ein zentrales Thema war das Verständnis politischer Stärke in einer demokratischen Gesellschaft und worin diese eigentlich besteht.
In einer parlamentarischen Demokratie muss ein starker Politiker zweifellos in der Lage sein, seine Ideen und Entscheidungen im Dialog mit unterschiedlichen, mitunter gegensätzlichen Akteuren durchzusetzen – ohne dabei den Kern seiner Positionen aufzugeben.
An dieser Stelle stellte sich die Frage: Wie konsequent ist Merz wirklich? Oder lässt er sich von verschiedenen Seiten beeinflussen, nur um irgendeinen Kompromiss zu erreichen?
In diesem Zusammenhang wurde die Reform der Schuldenbremse erwähnt – während des Wahlkampfes hatte Friedrich Merz sich dagegen ausgesprochen, doch im Interesse einer Koalition mit der SPD stimmte er später weitreichenden Änderungen zu, darunter massive staatliche Kreditaufnahmen.
Die Expert:innenjury – zur Erinnerung: sie bestand aus den Unentschlossenen – würdigte das hohe Niveau der Diskussion und hob die stärksten Argumente beider Seiten hervor.
Einen Gewinner gab es nicht. Ziel des Klubs ist es, durch die Auseinandersetzung mit dem politischen Geschehen in Deutschland ein besseres gegenseitiges Verständnis zu fördern.
Das von Artjom Orlow vorgeschlagene Format wurde ebenfalls als innovativ und gelungen bewertet.
Und wir werden die politischen Schritte von Friedrich Merz als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam verfolgen – denn seine Stärken und Schwächen sind uns nun bestens bekannt.